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Bild von Alexandra_Koch auf Pixabay
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Warum ChatGPT keine Konkurrenz für uns ist

Schüler*innen lassen ihre Haus­auf­gaben von ChatGPT schreiben, Anwält*innen ihre Schrift­sätze oder angeb­lich sogar Ver­fas­sungs­be­schwerden. Das System von OpenAI ging letztes Jahr viral und ver­breitet und ver­bes­sert sich seitdem rasant, zuletzt mit dem Ver­si­ons­sprung des dahin­ter­lie­genden Sprach­ver­ar­bei­tungs­mo­dells auf GPT‑4.

Man könnte sich also durchaus fragen, warum wir über­haupt noch an unseren Pro­to­typen für Chat­bots zur juris­ti­schen Ein­zel­fall­be­ra­tung wei­ter­ent­wi­ckeln – wenn doch nach Mei­nung Einiger schon jetzt ChatGPT auch juris­ti­sche Bera­tungs­tä­tig­keiten über­nehmen kann oder das nach Ansicht Wei­terer jeden­falls nur eine Frage der Zeit zu sein scheint.

Was kann ChatGPT?

Zuge­geben: ChatGPT hat völlig zu Recht solch hohe Wellen geschlagen. Es ist schlicht beein­dru­ckend, mit wel­cher sprach­li­chen Prä­zi­sion und wel­chem Aus­drucks­ver­mögen das System Texte pro­du­ziert und mit den Nut­zenden kommuniziert.

Aber: ChatGPT basiert nun einmal auf einem Sprach­ver­ar­bei­tungs­mo­dell und ist darauf aus­ge­richtet, Texte zu pro­du­zieren. Her­vor­ra­gend und kom­pe­tent klin­gende, geschlif­fene For­mu­lie­rungen – aber eben nicht zwin­gend gehalt­volle Ant­worten mit echtem Wissen und belast­baren Fakten. Wenn Nut­zende also Rechts­fragen an ChatGPT stellen, bekommen sie ziem­lich sicher eine sprach­lich per­fekte und struk­tu­rierte Rück­mel­dung. Und zudem eine Ant­wort, die sogar inhalt­lich richtig und wert­voll sein kann – aber nur wenn man die rich­tige Abfrage (prompt) ein­ge­geben hat oder man ein­fach Glück hat. Oft genug ent­halten gene­rierte Texte aber auch schlicht fal­sche oder unvoll­stän­dige Inhalte.

Für einige denk­bare Anwen­dungs­fälle oder auch für die Unter­stüt­zung von Expert*innen, die den Output selbst fach­lich beur­teilen und sinn­voll wei­ter­ver­ar­beiten können, mag das ausreichen.

Wir ent­wi­ckeln wis­sens­ba­sierte Expertensysteme

Im For­schungs­pro­jekt ver­folgen wir jedoch einen anderen Anspruch: Wir möchten Chatbot-Pro­to­typen ent­wi­ckeln, von denen die Nut­zenden Ant­worten erhalten, die ins­ge­samt und in Details kor­rekt und mög­lichst voll­ständig sind und in denen Beson­der­heiten des indi­vi­du­ellen Falls berück­sich­tigt werden. Und das auch, wenn die juris­ti­schen Fra­ge­stel­lungen kom­plex sind. Dass ein sol­cher Chatbot auch gewisse Sprach- und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­fä­hig­keiten haben muss, ist selbst­ver­ständ­lich. Ebenso, dass wir dafür auf Sprach­mo­delle oder andere selbst­ler­nende Sys­teme zurückgreifen.

Für die inhalt­li­chen Aspekte setzen wir aber auf wis­sens- bzw. regel­ba­sierte Kom­po­nenten. Unsere Pro­to­typen sollen sich eben nicht aus einer großen Daten­menge an Fall­bei­spielen, Gerichts­ur­teilen und gesetz­li­chen Normen selbst das Recht frei ableiten – wir möchten ihnen wenigs­tens das für ver­läss­liche Ant­worten nötige abs­trakte Grund­wissen mit­geben. Wer Jura stu­diert, bekommt ja schließ­lich auch nicht ein­fach eine Menge an prak­ti­schen Fällen, gericht­li­chen Ent­schei­dungen und Geset­zes­texten vor­ge­legt, muss sich dann rele­vante Muster und Ent­schei­dungs­kri­te­rien etc. selbst erschließen. Viel­mehr liegt ein großer Schwer­punkt der juris­ti­schen Lehre darauf, Stu­die­renden ein abs­traktes juris­ti­sches Grund­ver­ständnis und ‑wissen zu ver­mit­teln, das es ihnen ermög­licht, auch voll­kommen unbe­kannte Fälle ohne eigenes Spe­zi­al­wissen ziel­füh­rend lösen zu können.

Bei unseren For­schungen haben wir bereits ein wis­sens­ba­siertes System ent­wi­ckelt, mit dem wir juris­ti­sches Wissen und Logik so model­lieren können, dass es per Schnitt­stelle für ein Chatbot-System als Wis­sens­basis nutzbar ist. Wir sind davon über­zeugt, dass wir nur so hin­rei­chend prä­zise und belast­bare Ergeb­nisse erzielen können.

Was auf der Hand liegt: Die nötigen Regeln bzw. das Wissen zunächst zu erar­beiten und dann in ein Exper­ten­system zu imple­men­tieren bedeutet natür­lich einen ganz erheb­li­chen Auf­wand. Auch das haben wir in unseren bis­he­rigen For­schungen bereits fest­ge­stellt und sind uns bewusst, dass wir weiter daran arbeiten müssen, den Auf­wand für die Wis­sens­er­ar­bei­tung und ‑imple­men­tie­rung zu redu­zieren. Das gilt auch für eine spä­tere Pflege des Wis­sens, um es aktuell und kor­rekt zu halten. Die Ver­mu­tung liegt nahe, dass rein selbst­ler­nende Sys­teme einen gewissen Geschwin­dig­keits- und Kos­ten­vor­teil gegen­über wis­sens­ba­sierten Sys­temen haben könnten.

ChatGPT ist keine Konkurrenz?

Wenn wir nun behaupten, ChatGPT sei keine Kon­kur­renz für uns, soll das kei­nes­wegs Aus­druck einer inhalt­li­chen oder qua­li­ta­tiven Über­heb­lich­keit sein. GPT und andere Sprach­ver­ar­bei­tungs­mo­delle ver­folgen schlicht einen anderen Ansatz und sind am Ende des Tages eben keine Exper­ten­sys­teme, von denen wir Fach­wissen erwarten dürfen. Zumin­dest aktuell. Denn ange­sichts der rasanten Ent­wick­lung ist natür­lich kei­nes­falls aus­zu­schließen, dass ChatGPT & Co. irgend­wann so gut trai­niert sind, dass wir auch (zu einem gewissen Pro­zent­satz) ver­läss­liche Ant­worten auf kom­plexe Fach­fragen erhalten.

Unab­hängig davon bleiben wir dabei, dass für die Bera­tung zu kom­plexen juris­ti­schen Fra­ge­stel­lungen wis­sens­ba­sierte Methoden mit Blick auf die Qua­lität des Ergeb­nisses vor­zugs­würdig gegen­über rein selbst­ler­nenden Ansätzen sind.

Wir sehen ChatGPT & Co. als Chance!

Was noch vor­zugs­wür­diger ist: Das Beste aus beiden Ansätzen zusam­men­zu­bringen. Wir sind zuver­sicht­lich, dass wir in den nächsten Wochen und Monaten einen Weg finden werden, wie wir ChatGPT & Co. bei der Ent­wick­lung unserer Chatbot-Pro­to­typen mög­lichst effektiv und effi­zient ein­setzen können. Und das eben nicht nur für die Sprach­fä­hig­keiten unserer Chat­bots, son­dern vor allem auch bei der Erar­bei­tung und Imple­men­tie­rung des aus unserer Sicht nötigen Regel­wis­sens. Bei der Ana­lyse von Fach­ma­te­ria­lien, dem Zusam­men­tragen rele­vanter Kri­te­rien und logi­scher Zusam­men­hänge etc. werden Vor­schläge aus ChatGPT oder anderen Sys­temen uns mut­maß­lich Zeit ein­sparen helfen. Die so erar­bei­teten Regeln über­prüfen wir dann zur Qua­li­täts­si­che­rung durch Tests mit Lebens­sach­ver­halten und Fällen und im wei­teren Ver­lauf mit breit ange­legten Evaluationen.

Damit werden wir ein wis­sens­ba­siertes System mit einer hohen fach­li­chen Qua­lität und Ver­läss­lich­keit erschaffen, das aber durch Ein­satz von KI-Sys­temen das bis­he­rige Dilemma der wis­sens­ba­sierten Ansätze löst, näm­lich den Ent­wick­lungs- und Pfle­ge­auf­wand auf ein kon­kur­renz­fä­higes Maß zu reduzieren.

Es ist uns bewusst, dass das ein wenig paradox klingen mag: Wir sehen ChatGPT & Co. also nicht als Kon­kur­renz zu unseren Chatbot-Pro­to­typen, son­dern als unsere Chance, ChatGPT & Co. selbst in Bezug auf juris­ti­sche Fra­ge­stel­lungen Kon­kur­renz zu machen.

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