Schüler*innen lassen ihre Hausaufgaben von ChatGPT schreiben, Anwält*innen ihre Schriftsätze oder angeblich sogar Verfassungsbeschwerden. Das System von OpenAI ging letztes Jahr viral und verbreitet und verbessert sich seitdem rasant, zuletzt mit dem Versionssprung des dahinterliegenden Sprachverarbeitungsmodells auf GPT‑4.
Man könnte sich also durchaus fragen, warum wir überhaupt noch an unseren Prototypen für Chatbots zur juristischen Einzelfallberatung weiterentwickeln – wenn doch nach Meinung Einiger schon jetzt ChatGPT auch juristische Beratungstätigkeiten übernehmen kann oder das nach Ansicht Weiterer jedenfalls nur eine Frage der Zeit zu sein scheint.
Was kann ChatGPT?
Zugegeben: ChatGPT hat völlig zu Recht solch hohe Wellen geschlagen. Es ist schlicht beeindruckend, mit welcher sprachlichen Präzision und welchem Ausdrucksvermögen das System Texte produziert und mit den Nutzenden kommuniziert.
Aber: ChatGPT basiert nun einmal auf einem Sprachverarbeitungsmodell und ist darauf ausgerichtet, Texte zu produzieren. Hervorragend und kompetent klingende, geschliffene Formulierungen – aber eben nicht zwingend gehaltvolle Antworten mit echtem Wissen und belastbaren Fakten. Wenn Nutzende also Rechtsfragen an ChatGPT stellen, bekommen sie ziemlich sicher eine sprachlich perfekte und strukturierte Rückmeldung. Und zudem eine Antwort, die sogar inhaltlich richtig und wertvoll sein kann – aber nur wenn man die richtige Abfrage (prompt) eingegeben hat oder man einfach Glück hat. Oft genug enthalten generierte Texte aber auch schlicht falsche oder unvollständige Inhalte.
Für einige denkbare Anwendungsfälle oder auch für die Unterstützung von Expert*innen, die den Output selbst fachlich beurteilen und sinnvoll weiterverarbeiten können, mag das ausreichen.
Wir entwickeln wissensbasierte Expertensysteme
Im Forschungsprojekt verfolgen wir jedoch einen anderen Anspruch: Wir möchten Chatbot-Prototypen entwickeln, von denen die Nutzenden Antworten erhalten, die insgesamt und in Details korrekt und möglichst vollständig sind und in denen Besonderheiten des individuellen Falls berücksichtigt werden. Und das auch, wenn die juristischen Fragestellungen komplex sind. Dass ein solcher Chatbot auch gewisse Sprach- und Kommunikationsfähigkeiten haben muss, ist selbstverständlich. Ebenso, dass wir dafür auf Sprachmodelle oder andere selbstlernende Systeme zurückgreifen.
Für die inhaltlichen Aspekte setzen wir aber auf wissens- bzw. regelbasierte Komponenten. Unsere Prototypen sollen sich eben nicht aus einer großen Datenmenge an Fallbeispielen, Gerichtsurteilen und gesetzlichen Normen selbst das Recht frei ableiten – wir möchten ihnen wenigstens das für verlässliche Antworten nötige abstrakte Grundwissen mitgeben. Wer Jura studiert, bekommt ja schließlich auch nicht einfach eine Menge an praktischen Fällen, gerichtlichen Entscheidungen und Gesetzestexten vorgelegt, muss sich dann relevante Muster und Entscheidungskriterien etc. selbst erschließen. Vielmehr liegt ein großer Schwerpunkt der juristischen Lehre darauf, Studierenden ein abstraktes juristisches Grundverständnis und ‑wissen zu vermitteln, das es ihnen ermöglicht, auch vollkommen unbekannte Fälle ohne eigenes Spezialwissen zielführend lösen zu können.
Bei unseren Forschungen haben wir bereits ein wissensbasiertes System entwickelt, mit dem wir juristisches Wissen und Logik so modellieren können, dass es per Schnittstelle für ein Chatbot-System als Wissensbasis nutzbar ist. Wir sind davon überzeugt, dass wir nur so hinreichend präzise und belastbare Ergebnisse erzielen können.
Was auf der Hand liegt: Die nötigen Regeln bzw. das Wissen zunächst zu erarbeiten und dann in ein Expertensystem zu implementieren bedeutet natürlich einen ganz erheblichen Aufwand. Auch das haben wir in unseren bisherigen Forschungen bereits festgestellt und sind uns bewusst, dass wir weiter daran arbeiten müssen, den Aufwand für die Wissenserarbeitung und ‑implementierung zu reduzieren. Das gilt auch für eine spätere Pflege des Wissens, um es aktuell und korrekt zu halten. Die Vermutung liegt nahe, dass rein selbstlernende Systeme einen gewissen Geschwindigkeits- und Kostenvorteil gegenüber wissensbasierten Systemen haben könnten.
ChatGPT ist keine Konkurrenz?
Wenn wir nun behaupten, ChatGPT sei keine Konkurrenz für uns, soll das keineswegs Ausdruck einer inhaltlichen oder qualitativen Überheblichkeit sein. GPT und andere Sprachverarbeitungsmodelle verfolgen schlicht einen anderen Ansatz und sind am Ende des Tages eben keine Expertensysteme, von denen wir Fachwissen erwarten dürfen. Zumindest aktuell. Denn angesichts der rasanten Entwicklung ist natürlich keinesfalls auszuschließen, dass ChatGPT & Co. irgendwann so gut trainiert sind, dass wir auch (zu einem gewissen Prozentsatz) verlässliche Antworten auf komplexe Fachfragen erhalten.
Unabhängig davon bleiben wir dabei, dass für die Beratung zu komplexen juristischen Fragestellungen wissensbasierte Methoden mit Blick auf die Qualität des Ergebnisses vorzugswürdig gegenüber rein selbstlernenden Ansätzen sind.
Wir sehen ChatGPT & Co. als Chance!
Was noch vorzugswürdiger ist: Das Beste aus beiden Ansätzen zusammenzubringen. Wir sind zuversichtlich, dass wir in den nächsten Wochen und Monaten einen Weg finden werden, wie wir ChatGPT & Co. bei der Entwicklung unserer Chatbot-Prototypen möglichst effektiv und effizient einsetzen können. Und das eben nicht nur für die Sprachfähigkeiten unserer Chatbots, sondern vor allem auch bei der Erarbeitung und Implementierung des aus unserer Sicht nötigen Regelwissens. Bei der Analyse von Fachmaterialien, dem Zusammentragen relevanter Kriterien und logischer Zusammenhänge etc. werden Vorschläge aus ChatGPT oder anderen Systemen uns mutmaßlich Zeit einsparen helfen. Die so erarbeiteten Regeln überprüfen wir dann zur Qualitätssicherung durch Tests mit Lebenssachverhalten und Fällen und im weiteren Verlauf mit breit angelegten Evaluationen.
Damit werden wir ein wissensbasiertes System mit einer hohen fachlichen Qualität und Verlässlichkeit erschaffen, das aber durch Einsatz von KI-Systemen das bisherige Dilemma der wissensbasierten Ansätze löst, nämlich den Entwicklungs- und Pflegeaufwand auf ein konkurrenzfähiges Maß zu reduzieren.
Es ist uns bewusst, dass das ein wenig paradox klingen mag: Wir sehen ChatGPT & Co. also nicht als Konkurrenz zu unseren Chatbot-Prototypen, sondern als unsere Chance, ChatGPT & Co. selbst in Bezug auf juristische Fragestellungen Konkurrenz zu machen.